Wie Russische Hacker unsere Kameras übernehmen

Wie russische Hacker unsere Kameras übernehmen – und was das über den modernen Krieg verrät

Die unsichtbare Front: Wie russische Hacker unsere Kameras übernehmen – und was das über den modernen Krieg verrät

Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf dem Balkon Ihrer Firma, schauen auf den Parkplatz – und in diesem Moment schaut jemand zurück. Kein Kollege. Kein Google Street View. Sondern ein russischer Militärhacker.

Klingt nach Science Fiction? Willkommen in der Realität von 2025.

Denn das, was westliche Geheimdienste in einem gemeinsamen Sicherheitshinweis veröffentlicht haben, ist keine Übung, sondern der neue Alltag im Cyberkrieg: Russische Hacker – mutmaßlich im Auftrag des GRU – übernehmen systematisch Webcams in Europa. Nicht, um Katzenvideos zu sammeln, sondern um die Logistik hinter der Ukraine-Hilfe live auszuspähen.


Willkommen in der Welt der „APT28“ – auch bekannt als Fancy Bear

Wenn Sie noch nie von der Hackergruppe „APT28“ gehört haben: Glückwunsch. Sie hatten entweder Glück – oder Sie arbeiten nicht in einem sicherheitsrelevanten Sektor. Denn diese Gruppe, die bereits Bundestag, SPD und US-Wahlkampf 2016 infiltriert hat, gehört zu den bekanntesten und langlebigsten Advanced Persistent Threats der Welt.

Was sie jetzt treiben, ist allerdings eine neue Qualität der hybriden Kriegsführung.


Spionage im Livestream

Statt sich wie James Bond durch Lüftungsschächte zu zwängen, klinken sich Fancy Bear & Co. einfach in Ihre Webcam ein. Die Angriffe zielen auf private wie städtische Kameras – Hauptsache, sie liefern ein Bild. Bahnhöfe, Grenzübergänge, militärische Anlagen. Wenn’s blinkt, streamt oder aufnimmt, ist es ein Ziel.

Und das ist nicht nur spooky, sondern strategisch brilliant. Denn während sich westliche Logistikunternehmen auf Lieferketten, Papierkram und Zeitpläne konzentrieren, schauen russische Hacker auf die Zufahrtsstraße – live. 10.000 Kameras wurden in einem Fall kompromittiert, die Mehrheit davon in der Ukraine. Aber auch Rumänien, Polen, Deutschland sind betroffen.

Die Front verläuft nicht mehr entlang von Schützengräben, sondern von Glasfaserkabeln.


Warum das jedes Unternehmen betreffen sollte – auch Ihres

Vielleicht denken Sie: „Puh, wir liefern ja keine Panzer, wir machen Software für Verkehrsleitsysteme.“ Genau deshalb sind Sie im Visier. Einer der dokumentierten Angriffe galt laut Bericht nämlich einem Hersteller von Kontrollsystemen für Schienennetze. Ob erfolgreich, bleibt offen. Aber wer fragt schon, wenn der Spion bereits im System ist?

Fakt ist: Unternehmen, die irgendwie mit der Ukraine, mit Transport, mit kritischer Infrastruktur oder – Überraschung – mit Technologie zu tun haben, sind potenziell auf der Abschussliste. Und damit auch Ihre Cloud, Ihre Mails, Ihre Kamera – und Ihr Ruf.


Angriff auf die Realität: Was Bilder wert sind

Die russische Strategie basiert auf einem simplen Prinzip: Kontrolle durch Sichtbarkeit. Wer sieht, wo wann was verladen wird, kann gezielt stören. Sei es durch Desinformation, durch Sabotage oder durch den guten alten physischen Eingriff.

Das perfide dabei: Die Daten kommen oft nicht aus geheimen Quellen, sondern öffentlich zugänglichen Streams. Oder aus schlecht gesicherten IoT-Geräten, die seit Jahren mit Default-Passwort in der Ecke stehen und niemanden interessieren – bis heute.


Technologisch brillant – moralisch abgründig

Was wir hier erleben, ist die konsequente Weiterentwicklung von Aufklärung, Kriegsführung und Propaganda. Die Grenzen verschwimmen. Ein Kameraangriff ist nicht weniger ernst als ein Angriff auf eine Stromleitung – er ist subtiler, leiser und schwerer nachzuverfolgen.

Und vor allem: Er lässt sich leugnen. Denn niemand weiß genau, wann ein Bild „nur beobachtet“ oder bereits „manipuliert“ wurde. Willkommen in der Ära der epistemischen Unsicherheit.


Was man tun kann – jenseits von Wegschauen, Augenrollen und „Wird uns schon nicht treffen“

Wer jetzt denkt, die einzige Lösung sei, alle Kameras auszuschalten und wieder auf Brieftauben umzusteigen, liegt nur halb daneben. Natürlich ist „Kamera aus“ ein erster Reflex. Aber der eigentliche Punkt ist: Wir müssen digitale Systeme endlich ernst nehmen. Nicht als nette Spielerei für die IT-Abteilung, sondern als integralen Teil der Sicherheitsarchitektur eines Unternehmens.

(Und bevor jemand mit dem „Aluhut“-Argument kommt: Der Begriff „Aluhut“ steht sinnbildlich für Verschwörungstheoretiker, die glauben, eine Mütze aus Alufolie schütze vor Gedankenkontrolle durch Geheimdienste oder Außerirdische. Klingt absurd – und ist es auch. Aber was wir hier besprechen, ist keine Spinnerei, sondern dokumentierte Realität aus westlichen Geheimdienstquellen.)

Was viele dabei verwechseln: Wer steckt eigentlich hinter diesen Angriffen? Ist das der FSB?


Kurze Aufklärung: Wer ist wer im russischen Geheimdienst-Zirkus?

DienstZuständigkeitBerüchtigt für
FSBInlandsgeheimdienst (Nachfolger des KGB)Opposition überwachen, Dissidenten verfolgen, Nawalny vergiften
GRUMilitärgeheimdienstAuslandsspionage, Cyberkrieg, Bundestagshack, DNC-Leaks, Webcams kapern

Die GRU, offiziell „Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije“, ist der militärische Auslandsgeheimdienst Russlands – zuständig für Spionage, Sabotage und alles, was im Ausland Chaos stiften kann. Die besonders aktive Hackertruppe APT28, auch bekannt als Fancy Bear, gehört zur GRU – konkret zur Einheit 26165 in Moskau. Sie ist quasi das digitale Schwarze Loch in Ihrem Netzwerk, wenn man nicht aufpasst.


Verantwortung ist nicht delegierbar

Die politische Botschaft hinter den Angriffen ist klar: Wer die Ukraine unterstützt, ist ein Ziel. Ob das moralisch empörend oder völkerrechtswidrig ist, interessiert Fancy Bear wenig. Für sie ist es schlicht ein Spielzug im Schach der Staaten. Und wir sind alle Spielfiguren – oder eben Spieler, wenn wir das Spiel verstehen.


Warum mich das persönlich betrifft – und wahrscheinlich auch Sie

Ich selbst habe lange in der Forschung und Entwicklung neuer Technologien gearbeitet – und ich weiß, wie viele Lücken wir oft hinterlassen. Nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Zeitdruck, aus Bequemlichkeit oder aus Unwissen. Genau das sind die Einfallstore, die APT-Gruppen lieben.

Deshalb sage ich: Wir brauchen keine Panik. Wir brauchen Bewusstsein, Kompetenz – und den Mut, IT-Sicherheit nicht als Kostenfaktor, sondern als strategischen Vorteil zu begreifen.

Denn was ist die Alternative? Dass die Kamera im Büro demnächst mehr für Moskau als für den Hausmeister arbeitet?


Schlussgedanken: Das Unsichtbare sichtbar machen

Was der aktuelle Sicherheitsbericht zeigt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Der moderne Cyberkrieg ist längst da – nicht als Schlagzeile, sondern als Teil unserer Realität. Wer heute noch glaubt, er sei „nicht relevant genug“, macht sich zur Zielscheibe. Oder schlimmer: zum Kollateralschaden.

Ich wünsche mir eine Wirtschaft, die sich nicht nur auf Lieferketten, Innovation und Effizienz fokussiert – sondern auch auf Resilienz. Und auf das Wissen, dass jede Kamera, jedes Device, jede API nicht nur Daten liefert, sondern auch Angriffspunkte bietet.

In diesem Sinne: Kamera an – aber bitte sicher.

Euer Simon

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